Naumann | Friedel
Architekturfotografen

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

W. ist eine schöne Stadt

"Stadtfotografie" heißt das Seminar, das ich im Sommersemester 2017 an der Universität Würzburg im Fach Europäische Ethnologie/Volkskunde angeboten habe. Die Idee dazu kommt von der Feststellung, dass das offizielle Bild vieler Städte extrem konzentriert ist auf eine Reihe besonders fotogener Postkarten-Ansichten. In Würzburg sind das in erster Linie:
Die Festung, die Residenz und das sog. Käppele.

Die Aufgabe im Seminar war es, ausgehend von der Beschäftigung mit diesen Klischees einen umfassenderen Blick auf Würzburg zu entwickeln und die Stadt dann fotografisch zu erforschen.
Die grundlegende Methode ist dabei der Wahrnehmungsspaziergang, das Erkunden zu Fuß. Zuerst war nur Beobachtung gefragt. In einer späteren Phase sollten diese Beobachtungen dann mit den Mitteln der Fotografie in eine Form gebracht werden, die uns einen Erkenntnisgewinn liefert.
Meine Teilnehmerinnen studieren an der Uni das Fach Europäische Ethnologie/Volkskunde, sie sind also keine Fotografen oder Gestalter, sondern angehende Kulturwissenschaftler. Deswegen war es sinnvoll, das Projekt als kollektive Fotoarbeit umzusetzen. Das heißt: Die Studierenden haben selbständig verschiedene Stadtteile erkundet und nach aussagekräftigen Motiven gesucht. Die Aufnahmen haben wir dann gemeinsam in der Gruppe gemacht.
Thematisch zeigen die entstandenen Bilder vor allem die Peripherie der Stadt, also Bereiche, die nicht zum geläufigen image von Würzburg gehören und die sonst auch keine besondere Beachtung bekommen.
Uns ist dabei klar geworden, wie gut Fotografie als Prozess einer Bewusstmachung funktionieren kann: Über das Machen und Auswählen der Bilder ergeben sich Gedanken und Diskussionen, wie Lebensräume gestaltet sind – ganz konkret:
wie viel Fläche unserer Umwelt wir heute verbrauchen für eine Infrastruktur, die die Menschen aber am liebsten nicht sehen möchten.
Ein wesentlicher Punkt im Seminar war die Frage, ob und wie sich Fotografie für eine sinnvolle Form von gesellschaftlicher Einmischung eignet. Wir waren uns einig, dass Forschung nicht bedeuten muss, sich neutral herauszuhalten aus gesellschaftsrelevanten Themen.
Die Frage ist also, wie wir mit unseren Stadtbildern visuelle Denkimpulse in die Stadtgesellschaft zurückgeben können.
Diese Rückbindung ins Feld halten wir für ganz wichtig. Allein mit dem Herstellen der Bilder und dem Zeigen im akademischen Rahmen ist es nicht getan. So haben wir unsere Intervention "W. ist eine schöne Stadt" realisiert mit zehn Motiven auf 2500 Postkarten, die wir in Würzburg verbreiten, etwa, indem wir die Postkartenständer von Touristenläden damit füllen. Auch in Form von zwei Ausstellungen in der BBK-Galerie im Kulturspeicher und im Sudhaus auf dem Bürgerbräu-Gelände haben die Bilder zurück in die Stadt gefunden.

Zusätzlich zu unserer wissenschaftlichen Erkenntnis geht es uns auch um den medienkritischen Aspekt, simplifizierende, auf Stereotype fixierte visuelle Kommunikation zu hinterfragen, die ein bestimmtes image einer Stadt erzeugt und zu stabilisieren versucht. Diese visuelle Deutungshoheit von Stadtmarketing wollen wir ein Stück weit unterwandern. Ich denke, eine ästhetisch ausgelöste Irritation kann dafür ein erster Schritt sein.

Seminarleitung und Text: Christoph Naumann-Zimmer

beteiligte Studierende: Julia Montero Deistler, Laura Duchet, Lara Kühn, Laura Meuser, Josephine Neubert, Rafael Siegemund